Menschenrechte

Werte verteidigen, ohne moralische Überheblichkeit

„Menschenrechtspolitik zwischen Idealismus und Realismus“ lautet Pflügers Promotionsthema, und es begleitet ihn bis heute. Heute hält er Realpolitik und Diplomatie für erfolgreicher als „moralistische Kreuzzüge“.

Die Themen Demokratie und Menschenrechte haben Friedbert Pflüger stets beschäftigt, er nennt sie „Lebensthemen“. Die Verteidigung der freiheitlichen Demokratie stand für ihn früh im Mittelpunkt, als er Vorsitzender des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) war. Ende der 70er-Jahre tobte an den deutschen Hochschulen ein politischer Kampf, entfacht von linken und linksextremen Studentenverbänden. Ein knappes Jahrzehnt nach 1968 hatten sich zahlreiche Gruppen etabliert, die die demokratische Ordnung der Bundesrepublik ablehnten und andere, marxistisch inspirierte Gesellschaftsmodelle propagierten. „Es herrschte ein Klima der Intoleranz an den Unis, das nicht zu akzeptieren war. Wer die Parolen der Marxisten kritisierte, wurde niedergebrüllt“, erinnert sich Pflüger.

Als Vorsitzender des RCDS startet Pflüger 1977 eine Kampagne, mit der der RCDS der kommunistischen Ideologie Moskau-treuer und maoistischer Studentenverbände entgegentritt. Unter der Überschrift „Demokratischer Dialog statt Gewalt“ wirbt der RCDS an vielen Hochschulen für das Prinzip der „offenen Gesellschaft“, wie Karl Popper das Ideal der demokratischen Ordnung definiert hat. Pflüger: „Wir kämpften an den Unis in Deutschland für Meinungsfreiheit, Pluralismus und Rechtsstaat und stellten uns gegen jede Form von totalitärem Denken. Im Sinne des Satzes von Popper ‚Der Versuch, den Himmel auf Erden zu schaffen, produzierte stets die Hölle‘ glaubten wir nicht an sozialistische Allheilslehren und den ‚neuen Menschen‘, sondern setzten uns für die schrittweise Verbesserung der Gesellschaft ein.“

Samuel Huntington und Jimmy Carter

Pflüger engagiert sich – an der Seite des späteren schwedischen Ministerpräsidenten Carl Bildt – von 1976 bis 1978 auch als stellvertretender Vorsitzender der European Democrat Students (EDS), des Verbandes von damals 20 europäischen Studentenverbänden des konservativen, liberalen und christlich-demokratischen Spektrums. Hier organisiert er die europaweite Kampagne „Für Menschenrechte überall“. Pflüger zur Idee dahinter: „Der damalige Mainstream an den Hochschulen kritisierte bei Menschenrechtsverletzungen nur rechtsgerichtete Militärdiktaturen, nicht aber die kommunistischen Systeme. Die sozialistischen Gruppen waren ganz bewusst ‚auf einem Auge blind‘. Wir hingegen setzten uns europaweit auch für Dissidenten in der Sowjetunion und politische Gefangene in der DDR wie zum Beispiel Nico Hübner ein.“

In dieser Zeit ist Pflüger begeistert von der neuen Menschenrechtspolitik Jimmy Carters, der 1977 Präsident der USA wird. „Der hat direkt nach seiner Amtseinführung ein wahres Feuerwerk an menschenrechtlichen Initiativen ergriffen.“ Das neue Carter-Amerika gefällt ihm damals besser als die Administrationen davor, die Vietnam mit Massenbombardements überzogen und sich mit Militärdiktaturen in aller Welt verbündeten. „Sie agierten international nach dem Franklin D. Roosevelt zugeschriebenen Satz ‚They are bastards, but our bastards‘ – und das empfand ich als unerträglich. Nach Watergate und Vietnam konnte man sich wegen Carter an den Hochschulen endlich wieder zu den USA bekennen.“ Carter merkte schnell, dass man mit menschenrechtlichen Fanfaren nicht weit kommt, sondern dass es eine kluge Balance mit anderen Zielen und Interessen geben muss.

Die „US-Außenpolitik zwischen Idealismus und Realismus“ wird schließlich zum Thema seiner Doktorarbeit, die Pflüger an der Universität Bonn beginnt. Um dem Gegenstand der Arbeit näher zu kommen, geht Pflüger 1980/81 in die USA, forscht an der Harvard-Universität und bietet zum Thema Menschenrechte auch eine Lehrveranstaltung an. Samuel Huntington, einer der international bekannten Harvard-Professoren und Autor des 1996 erschienenen Werks „Clash of Civilizations“, wird Pflügers Mentor. Er bringt ihn mit manchen Größen der Carter-Administration zusammen. Schließlich auch mit Jimmy Carter selbst.

Wortgefecht mit Richard von Weizsäcker

1981 kehrt Pflüger nach Deutschland zurück. Er schreibt Richard von Weizsäcker, den er aus seiner RCDS-Zeit kennt, einen Glückwunschbrief zu seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister und bekommt, wie insgeheim erhofft, einen Termin für ein Vorstellungsgespräch. Dabei wird Pflüger von Richard von Weizsäcker auf das Thema seiner Promotion angesprochen: für wen er denn sei, für Carter oder Kissinger, für die moralisch unterlegte Außenpolitik des US-Präsidenten oder den realpolitischen Ansatz des früheren US-Außenministers? Pflüger plädiert für Carter. Weizsäcker widerspricht, und es entwickelt sich ein Wortgefecht. Pflüger sieht seine Felle davonschwimmen. Pflüger erinnert sich heute: „Ohne Gesichtsregung beendet Weizsäcker kurze Zeit später das Vorstellungsgespräch und fügt dann lapidar an: ‚Nun haben wir uns bei unserem ersten Gespräch schon gestritten – und ich hoffe, wir werden das noch oft tun.‘“

Heute wäre ich weniger rigoros, sagt Pflüger. „Durch meine Arbeit als Abgeordneter, Staatssekretär und jetzt als Unternehmer habe ich Erfahrungen gemacht, die mich vom Idealismus einer rigorosen Menschenrechtspolitik immer mehr haben abrücken lassen. Denn die hohe Moral bewegt in der Sache meist viel weniger als eine Politik von schrittweisen Verbesserungen. Das öffentliche Moralisieren führt eher zu Blockaden als zu Lösungen. Ich bin mit den Jahren zum Realpolitiker geworden.“ Den obersten Realpolitiker der USA, Henry Kissinger, hat Pflüger im Laufe der Jahrzehnte immer wieder getroffen. „Das waren eindrucksvolle, zum Teil unvergessliche Gespräche.“

Deutschlands Verantwortung in der Welt

Seine heutige Sicht auf die Außenpolitik zwischen Idealismus und Realismus formuliert Pflüger im Dezember 2021 als offenen Brief an die frisch ernannte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Darin schreibt er, dass die Außenpolitik demokratischer Staaten sich ihres Wertefundaments bewusst sein und – wo immer möglich – die Sache der Freiheit und der Demokratie voranbringen müsse. Doch dürfe das nicht dazu führen, dass Brücken eingerissen, legitime Interessen beschädigt und eigene Möglichkeiten überschätzt würden. „Selbstgerechtes Moralisieren, menschenrechtliche Kreuzzüge – das bewirkt nichts, außer dass es Deutschlands Rolle in der Welt schwächt.“ Der Demokratie-Export habe im Nachkriegsdeutschland, nach der europäischen Revolution auch in der DDR und Mitteleuropa funktioniert, sei in anderen Kulturkreisen aber fast immer gescheitert.

Pflüger ist der Auffassung, dass die EU und die USA angesichts der eigenen Grausamkeiten in der Geschichte keinen Grund zu selbstgerechter Überheblichkeit hätten. Er erinnert an die Religionskriege in Europa, die Inquisition, die Sklaverei, den Kolonialismus, die weitgehende Ausrottung der Ureinwohner in Amerika oder Australien, das Dritte Reich und die Judenvernichtung, den Vietnam-Krieg, die moralischen Niederlagen in Srebrenica und Abu Ghraib. „Vieles davon ist nicht lange her, und wenn wir einen Blick auf Afghanistan werfen, das der Westen letztes Jahr Hals über Kopf den Taliban überlassen hat – dann ist es wenig glaubwürdig, den forschen Zensurengeber in der Welt zu geben.“

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