Frieden & Freiheit

Sicherheit durch Verteidigung und Entspannung

„Mehr Westen im Herzen geht eigentlich gar nicht“, sagt Friedbert Pflüger über sich. Er sagt aber auch: „Wir müssen einen Weg der Verständigung mit Russland finden, so schwer uns das im Moment auch fallen mag.”

Der Schwerpunkt in Friedbert Pflügers politischer Laufbahn ist die Außen- und Sicherheitspolitik. „Das hat mich schon sehr früh interessiert“, sagt er und verweist auf sein Engagement im EDS, dem Studentenverband der liberalen, konservativen und christlich-demokratischen Studentenverbände im damaligen Westeuropa. Hier ist er zwei Jahre lang stellvertretender Vorsitzender und bildet ein Netzwerk an europäischen Kontakten. Auch mit den College Republicans in den USA, der Studentenvereinigung der Republikaner, gibt es einen engen Austausch.

In diesem Rahmen trifft Pflüger 1978 George Bush senior, der damals versucht, die Vorwahlen für die Präsidentenwahl zu gewinnen – und verliert. „Das Treffen hat mich fasziniert. Lässig legte er seine Beine auf den Schreibtisch und berichtete spannend von China, wo er bis vor wenigen Wochen Botschafter war.“ Pflüger besucht Parteitage der Republikaner. Er erinnert sich an Detroit 1980, als Ronald Reagan nominiert wird. „Das war eine große politische Show für die Medien, während bei uns noch in dürftigem Licht nur in den Saal geredet wurde und die Delegierten parallel in Unterlagen blättern durften.“

Eine emotional enge Bindung an die USA entsteht durch einen Studienaufenthalt in Harvard im Rahmen seiner Promotion zur amerikanischen Außenpolitik. 1982 wird Pflüger dann Teil einer „Young Leader“-Gruppe der Atlantik-Brücke, der German Marshall Fund ermöglicht ihm einen mehrwöchigen Informationsaufenthalt in den USA. 1992 wird Pflüger Vorsitzender der Atlantic Association of Young Political Leaders (AAYPL), wo erstmals auch junge Politiker aus Mittel- und Osteuropa in den politischen Transatlantik-Dialog integriert werden. 1989, zur Zeit des Mauerfalls, ist Pflüger Forschungs-Fellow an der Hoover Institution in Stanford.

Westintegration mit Offenheit gegenüber Mitteleuropa verbinden

Pflüger hat also eine tiefe Sozialisierung in dem, was man politisch „den Westen“ nennt. „Mehr Westen im Herzen geht eigentlich gar nicht“, sagt er. Aber er interessiert sich auch für die Länder hinter dem „Eisernen Vorhang“. 1988 veröffentlicht Pflüger einen ganzseitigen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in dem er den lange Zeit verdrängten „Mitteleuropa“-Begriff wieder aufleben lässt. Pflüger rät, nicht länger vom „Ostblock“ zu reden und stattdessen die Länder des Warschauer Paktes in ihren Unterschieden zu begreifen und die Entwicklung eigener Identitäten zu fördern. Das ist damals hochumstritten. Der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld bezeichnet den Mitteleuropa-Begriff als „Einfallstor für antiwestliches Denken“, sein französischer Kollege Joseph Roman als „gefährliche Sprengladung für die Westintegration Europas“. Die Sorge ist, dass die Deutschen die Spielräume der Völker jenseits der europäischen Grenze gegenüber Moskau überschätzen. Pflüger dagegen spricht sich dafür aus, dass westliche Orientierung und Offenheit gegenüber Mittel- und Osteuropa vereinbar sind. Er veröffentlicht diese Meinung auch hinter dem Eisernen Vorhang, in den Dissidentenschriften der Solidarność.

Auf dem Leningrader Friedhof

Hinsichtlich der Sowjetunion tritt Pflüger für den politischen Systemwettbewerb mit der kommunistischen Diktatur ein und kritisiert scharf ihren Versuch, die marxistisch-leninistische Ideologie weltweit zu verbreiten. Gleichzeitig befürwortet er Ostpolitik, friedliche Koexistenz und Entspannung. Während die CDU/CSU 1975 im Bundestag gegen die KSZE-Schlussakte von Helsinki votiert, spricht sich der RCDS-Bundesvorstand um Hans Reckers und Friedbert Pflüger öffentlich für das Dokument aus – was Pflüger damals viel Ärger einbringt. Pflüger sieht im Atomzeitalter keine Alternative zu Rüstungskontrolle, Abrüstung, wirtschaftlicher Kooperation und Dialog. Der Satz des Sozialdemokraten Willy Brandt „Der Frieden ist nicht alles, aber ohne den Frieden ist alles nichts“ ist für den Christdemokraten Pflüger ein zentrales Credo für die internationale Politik. Bis heute.

Eine bewegende Begebenheit zu Friedbert Pflügers Einstellung zur Sowjetunion findet sich in seinem Buch „Ein Porträt aus der Nähe“, in dem er die acht Jahre an der Seite Richard von Weizsäckers betrachtet. Im Juli 1987, am Ende eines Staatsbesuches Richard von Weizsäckers in der Sowjetunion, besucht der Bundespräsident mit dem damaligen sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse den Piskarjowskoje-Friedhof im Norden des damaligen Leningrads. 470.000 Menschen liegen hier begraben, alle Opfer der 900-tägigen Belagerung der Stadt durch die deutsche Wehrmacht, die meisten verhungert. Pflüger ist als Teil der Delegation dabei und erinnert sich: Endlos war der Weg vorbei an den Massengräbern und Granitblöcken. Ein Meer von Blumen, Schostakowitschs 7. Symphonie (die „Leningrader“) tönt aus versteckten Lautsprechern. Zwei deutsche Offiziere legen Weizsäckers Kranz unter dem riesigen „Mutter Russland“-Denkmal nieder.

Richard von Weizsäcker sagt im Namen Deutschlands: „Ich bin heute hier, um alles in meinen Kräften Stehende dazu beizutragen, dass künftigen Generationen solches Grauen erspart bleibt.“ Die Nationalhymen erklingen, zum ersten Mal auf einem russischen Soldatenfriedhof die deutsche Hymne. „Unsagbares Leid ist bei der deutschen Belagerung entstanden, und nun reichten die Russen die Hand. Das hat mich tief beeindruckt“, erinnert sich Pflüger. 45 Jahre später herrscht durch Putins Angriff auf die Ukraine wieder Krieg in Europa. Die damalige Geste wirke bis heute im ihm nach, sagt Pflüger und überträgt sie auf die aktuelle Lage. „Unsere und meine ganze Solidarität gilt dem ukrainischen Volk. Aber wir sollten alles tun, um Eskalationen zu verhindern, nach Wegen für Frieden zu suchen, und irgendwann hoffentlich eine Aussöhnung erreichen – so schwer dies im Moment vorstellbar ist."

Wer mit Pflüger spricht, der spürt, wie sehr Richard von Weizsäckers Denken Pflügers Blick auf die Welt prägt. Von ihm übernimmt Pflüger auch das Bekenntnis zur sogenannten Harmel-Doktrin der NATO von 1967 – benannt nach dem früheren belgischen Außenminister Pierre Harmel. Sie sieht die Sicherheitspolitik des Bündnisses auf zwei Säulen ruhend: der Verteidigungsfähigkeit und der Entspannungsbereitschaft. Beides gehört zusammen: „deterrence and détente“, die Faust und die ausgestreckte Hand. Als die Sowjetunion in den 70er-Jahren beginnt, nukleare Mittelstreckenraketen in der DDR aufzustellen, reagiert der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt mit einer klaren Gegenposition – einem „double track“. „Das war genau im Sinne Harmels. Die Bundesrepublik erklärt ihre Bereitschaft, amerikanische Mittelstreckenraketen auch in Westdeutschland zu stationieren, bietet aber gleichzeitig Gespräche über die vollständige Beseitigung dieser Systeme in ganz Europa an“, sagt Pflüger. „Diese Haltung führt zwar zum Sturz des Bundeskanzlers Helmut Schmidt durch seine eigene Partei, international aber zum INF-Abrüstungsabkommen zwischen Moskau und Washington und dem Beginn einer neuen Phase der Entspannungspolitik.“

Für Pflüger hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wesentlich auch damit zu tun, dass viele in Deutschland und Europa die Harmel-Doktrin als Grundlage erfolgreicher Außenpolitik aus den Augen verloren. Pflüger: „Die unter Willy Brandt begonnene Energiepartnerschaft und wirtschaftliche Kooperation mit Russland hätte viel deutlicher Hand in Hand gehen müssen mit eigener militärischer Stärke. Deutschland hat den wirtschaftlichen Vorteil von günstigem Gas und Zugang zum Absatzmarkt Russland gern genutzt, zugleich aber die Wehrpflicht abgeschafft, die Bundeswehr immer schlechter ausgerüstet und die Personalstärke für Landes- und Bündnisverteidigung so weit heruntergefahren, dass die Sicherheitsgarantien für die Staaten Mitteleuropas unglaubwürdig wurden.“ Deutschland prägt damit einen Eindruck des Verteidigungsbündnisses, der vielleicht zu falschen Annahmen geführt hat. „Putin hat schlichtweg nicht mehr mit einem geschlossenen und verteidigungsbereiten Westen gerechnet.“

Für EU- und NATO-Öffnung nach Osten

Pflüger nimmt für sich in Anspruch, in seiner Zeit als Mitglied des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU und Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium mit seinen Einschätzungen und Prognosen zumeist richtig gelegen zu haben. Er setzt sich als Abgeordneter der Unionsfraktion für einen EU- und NATO-Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten ein. Er wird Berichterstatter seiner Fraktion für die NATO-Öffnung und erhält für dieses Engagement den polnischen und den litauischen Verdienstorden, persönlich überreicht von den damaligen Regierungs- und Staatschefs Tadeusz Mazowiecki und Valdas Adamkus. Der damalige Kanzler Helmut Kohl und sein Verteidigungsminister Volker Rühe hätten die Erweiterung des Bündnisses im Dialog mit Moskau immer wieder thematisiert. Man habe Russland kein Veto eingeräumt, es aber informiert gehalten.

Bei einer Region lag Pflüger jedoch grundlegend falsch, wie er heute einräumt, indes nur auf Nachfrage und etwas zögernd. Er habe den „arabischen Frühling“, die Demokratiebewegung in der arabischen Welt im Dezember 2010, zunächst ganz enthusiastisch begrüßt und viel zu spät erkannt, dass demokratische Wahlen den viel besser organisierten radikalen Islamisten und nicht den wenigen westlich-liberal orientierten Kräfte zum Sieg verholfen hätten.

Fehleinschätzungen beim „arabischen Frühling“ und beim Irak-Krieg

Und was sagt Pflüger heute zum zweiten Irak-Krieg, der einen „regime change“ mit militärischen Mitteln zum Ziel hatte? Hätte er sich da nicht auch wie der damalige Kanzler Gerhard Schröder klar gegen George Bush junior stellen müssen? Pflüger holt aus: „Uns in der Union fällt es immer schwer, uns offen gegen unseren engsten und wichtigsten Verbündeten zu stellen, selbst dann, wenn wir glauben, dass die USA Fehler begehen. Und wir waren nach dem weltweit im TV übertragenen Briefing von US-Außenminister Colin Powell vor den Vereinten Nationen überzeugt, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfügte und auch bereit war, diese zum Beispiel gegen Israel einzusetzen. Heute wissen wir, dass die Welt damals vom CIA bewusst in die Irre geführt, ja regelrecht belogen wurde, um den Angriffskrieg der Amerikaner im Irak zu legitimieren.“ Pflüger konnte sich eine solche Täuschung durch „unsere amerikanischen Freunde“ damals nicht vorstellen und war maßlos enttäuscht vom Verhalten der Amerikaner. „Aus heutiger Sicht wären stärkere Zweifel angebracht gewesen. Joschka Fischer lag mit seinem ‚I am not convinced‘, das er US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bei der Münchener Sicherheitskonferenz 2003 entgegenschleuderte, richtiger.“

Nach wie vor tritt Pflüger als Redner und Teilnehmer auf internationalen Foren, die sich mit Außen- und Sicherheitspolitik beschäftigen, auf: beim Club of Three, bei der World Policy Conference, der Tällberg Foundation. Seit 2016 ist Pflüger Chairman des jährlich stattfindenden Walther Leisler Kiep Symposiums. Am Center for Advanced Strategy, Security and Integration Studies (CASSIS) der Universität Bonn nimmt Pflüger seit Sommer 2020 einen Lehrauftrag wahr. Bis dahin hatte er eine zwölfjährige Gastprofessur am Department of War Studies an King’s College in London inne. Seit 2014 ist Pflüger Nonresident Fellow des Atlantic Council in Washington.

Friedbert Pflüger über Frieden & Freiheit

„Ohne eine Art der Verständigung mit Russland, irgendwann, wird es keinen dauerhaften Frieden in Europa geben. So schwer uns das im Moment auch fallen mag."

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