Energie & Klima

Kellerpizza mit den Grünen

Beim Thema Klima war Friedbert Pflüger seiner Zeit voraus, vor allem der CDU. Nach dem Ende seiner Politiklaufbahn wurde er zum Energie- und Klima-Unternehmensberater.

Heute reden alle Politiker über Klima- und Umweltschutz. 1992 ist das noch anders, erst recht in der CDU – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Friedbert Pflüger ist eine dieser Ausnahmen: Er erkennt schon früh die Relevanz von Umweltthemen und sucht das Gespräch mit den Grünen.

„Mit Peter Altmaier, Eckart von Klaeden, Hermann Gröhe, Norbert Röttgen und anderen haben wir uns ab 1995 heimlich im Keller des Bonner Restaurants Sassella mit jungen Grünen getroffen und zum Beispiel über eine zukünftige Energiepolitik gesprochen“, erinnert sich Pflüger. „Eines Tages saß dann ein Mitarbeiter Helmut Kohls auffällig unauffällig oben im Restaurant und führte Buch über die Teilnehmer, die zu unseren Treffen kamen.“ Die Runden gingen als „Pizza-Connection“ in die deutschen Geschichtsbücher ein.

Ein Planet wird gerettet: Technik und Marktwirtschaft statt Verzicht und Verbote

1975 erschien das Buch „Ein Planet wird geplündert“ des CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl. „Das Werk hat Deutschland damals bewegt und mich sehr geprägt“, erinnert sich Pflüger. Mit einer Auflage von 400.000 gelang Gruhl ein Superbestseller, er wurde Chef des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Er verließ später tief enttäuscht die CDU, um Gründungsmitglied der Grünen zu werden. „Gruhl war mein Wahlkreisabgeordneter. Ich habe ihn gut gekannt und sehr geschätzt. Die CDU hat damals nicht erkannt, was sie an ihm und seinen Themen hatte. Dabei sind Klima- und Umweltschutz ureigenste Themen einer christlich-demokratischen Partei. Die Schöpfung bewahren mit den Mitteln von heute – das hätte schon damals im Zentrum gerade der CDU stehen müssen. Aber man hat das Thema liegen lassen und so den Aufstieg der Grünen befördert“, ärgert sich Pflüger noch heute.

Gruhl wurde mit der Zeit immer pessimistischer in seiner Weltsicht. Er glaubte an den bevorstehenden Weltuntergang, erinnert sich Pflüger. Auch deshalb antwortet Pflüger 1993 mit dem Buch „Ein Planet wird gerettet. Eine Chance für Mensch, Natur und Technik“, in dem er die Grundlagen einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft skizziert. Die richtigen Technologien in den Markt bringen, statt Unternehmen und Bürger mit Verboten zu belegen, das ist bis heute für Pflüger der wirksamere Weg, um Wirtschaft, Jobs und Umweltschutz in Einklang zu bringen. „Ökonomie gegen Ökologie – das war damals der Gegensatz zwischen CDU und Grünen, der auf beiden Seiten gepflegt wurde, anstatt einen gemeinsamen Weg zu suchen. Mein Buch sollte eine Brücke bauen.“

Offshore-Windenergie statt AKWs

Als Spitzenkandidat der CDU in Niedersachsen bei der Bundestagswahl 2002 setzt sich Pflüger gemeinsam mit der Bundestagsabgeordneten Martina Krogmann aus Stade für einen raschen Ausbau der Offshore-Windenergie ein. Der Mainstream seiner Partei setzt in dieser Zeit vor allem auf die Verlängerung der Laufzeiten von Atommeilern.

Später, als Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus, kämpft Pflüger gemeinsam mit dem Grünen-Chef Volker Ratzmann für ein neues Gaskraftwerk, um das vom Energiekonzern Vattenfall geplante neue Kohlekraftwerk zu verhindern. Pflüger fordert die Nutzung neuer Technologien wie Carbon, Capture and Storage (CCS), will Berlin zu einem Modell einer ökologisch orientierten „Smart City“ machen und fordert als Symbol dafür einen Solarpark auf dem Dach des Flughafens Tempelhof.

Für ein LNG-Terminal in Wilhelmshaven – 17 Jahre vor der Zeit

Auch beim Thema Energiesicherheit ist Pflüger ein Vordenker: So fordert er als Vorsitzender der Bundesfachkommission Außen- und Sicherheitspolitik der CDU bereits 2005 ein deutsches LNG-Terminal in Wilhelmshaven, um Gaslieferungen zu diversifizieren. Aber dieses wird erst 17 Jahre später realisiert, es braucht die ganze „Zeitenwende“ des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.

Nach seinem späteren Scheitern in der Berliner Landespolitik und einem kompletten Rückzug aus allen politischen Ämtern setzt Pflüger diese Linie auch als Wissenschaftler und Unternehmensberater fort. In seinen Reden und Aufsätzen zitiert er immer wieder Winston Churchills Grundgesetz der Energiesicherheit: „variety and variety alone“.

Über 150 Energiegespräche am Reichstag

Das Thema Energie und besonders die Energiesicherheit werden Kern der Firma, die Pflüger 2009 in Berlin gründet: Pflüger International. Eines der ersten Mandate kommt aus Indien: Mit der Firma Moser Baer (heute Hindustan Power) entwickelt Pflüger Solarflächen mit mehr als 50 MW Leistung in Deutschland. Bald kommen Mandate im Bereich Wind, Netzausbau, Biogas und Wärme hinzu, die Unterstützung der albanischen Regierung hinsichtlich der Trans Adriatic Pipeline (TAP) sowie eine fünfjährige Zusammenarbeit mit den Central European Energy Partners (CEEP) in Warschau und Brüssel.

Dreh- und Angelpunkt aller Aktivitäten von Pflüger International sind die „Energiegespräche am Reichstag“, die einmal im Monat zu einem aktuellen Thema der Klima- und Energiepolitik stattfinden. Die Energiegespräche sind heute eine feste Einrichtung in Berlin. Pflüger: „Die Energiegespräche schaffen ein offenes Diskussionsforum für Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und NGOs.“ Zum 50. Energiegespräch kommt der damalige Umweltminister Sigmar Gabriel, zum 100. der damalige Ministerpräsident von NRW, Armin Laschet, zum 150. im Oktober 2022 Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Professor am King’s College London: Diversifizierung der Gaslieferungen

Nach der russisch-ukrainischen Gaskrise 2010 gründet Pflüger am King’s College London, das ihn 2009 zu einer Gastprofessur einlud, ein neues Forschungsinstitut, das sich mit Energiesicherheit beschäftigt: das European Centre for Climate, Energy and Resource Security (EUCERS). Die Veranstaltungen und Studien des Instituts drehen sich um die amerikanische Schiefergasrevolution, um LNG-Terminals und Interconnectors in Mittel- und Osteuropa, um die Nabucco- und Tap-Pipelines, die Gas aus Aserbaidschan nach Europa bringen sollen, sowie um die Möglichkeit, israelisches, kurdisches oder iranisches Gas nach Europa zu bekommen.

2018 erhebt der Spiegel den Vorwurf, Pflüger habe es vor dem Hintergrund seines gleichzeitigen Beratungsmandats für Nord Stream 2 an Transparenz vermissen lassen und die Professur für die Verbreitung von Nord-Stream-Positionen unzulässig genutzt. „Schattenmann von Nord Stream 2“ lautet der Titel. Pflüger ärgert das damals. „Nichts war im Schatten“, sagt er heute dazu. Er habe das Nord-Stream-Mandat dem Dekan des Departments, Mervyn Frost, umgehend angezeigt. „Genau wie bei anderen Mandaten, etwa für die in Polen ansässigen Central European Energy Partners (CEEP), für die Trans Adriatic Pipeline (TAP), für die meine Firma fünf beziehungsweise sieben Jahre tätig war, haben wir auf meiner Homepage auf unsere Kunden hingewiesen. Wir haben nichts verschwiegen, denn es gab nichts zu verschweigen. Ich habe immer offen und öffentlich zu unserem Mandat mit Nord Stream 2 gestanden. Da gab es auch nichts zu verstecken, schließlich wurde das Projekt von der Bundesregierung und drei Vierteln des Bundestages unterstützt – auch wenn davon heute viele nichts mehr wissen wollen“, sagt Pflüger.

Nord Stream 2: Mandat sofort gekündigt

Am 25. Februar 2022, am Tag nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, hat Pflüger das Mandat mit Nord Stream 2 gekündigt und jede weitere Tätigkeit in Russland unmittelbar eingestellt. Da war Pflüger schneller als viele andere Unternehmen und Organisationen.

Für Pflüger endet mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine Ära. „Alles Vertrauen, das seit Willy Brandts Entspannungspolitik und der von allen Bundesregierungen gepflegten Energiepartnerschaft mit Russland aufgebaut wurde, hat Putin mit seinem Krieg zerstört.“ War er naiv? Pflüger antwortet auf diese Frage: „Ich kenne Putin nicht, habe nie ein Gespräch mit ihm geführt. Aber auch die, die ihn kennen, haben bis zum Schluss nicht daran geglaubt, dass Putin wirklich Krieg führen würde. Man dachte, die Kriegsvorbereitungen seien ein weiteres Muskelspiel, ein Warnsignal gegenüber einer möglichen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Da habe ich mich getäuscht. Wie viele andere auch. Das Leid und die Zerstörung, die Putin den Menschen in der Ukraine antut, sind abscheulich.“

Russisches Gas: einst politischer Konsens in Deutschland

Was sagt Pflüger zu den Mahnungen, etwa aus Polen, dass Deutschland durch Nord Stream 2 zu abhängig von russischem Gas werde? Pflügers Antwort: „Ich habe die Bedenken in Polen immer verstanden. Aber es gab für Deutschland gute Gründe: Russisches Gas war günstig und deshalb willkommen, um die hohen Steuern und Arbeitskosten am Standort Deutschland auszugleichen. Insofern hat diese günstige Energie dazu beigetragen, unsere Wirtschaftskraft zu entwickeln, auf der vieles bei uns beruht. Die Abhängigkeit ist aber vor allem dadurch entstanden, dass es in Deutschland keine Bereitschaft gab, unsere heimischen Schiefergasreserven durch Fracking zu nutzen, und auch keinen Willen zur Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke.“ Zugleich wurde der Kohleausstieg beschleunigt, was Pflüger richtig findet. Der Nutzen von bezahlbarem Gas für Deutschland sei groß gewesen, und politisch akzeptierte Alternativen habe es wenige gegeben. Pflüger: „Auch der Ausbau der Erneuerbaren kam nicht schnell genug voran und konnte kein Ersatz für die riesigen Energiemengen aus Russland sein. Mit dem Rückgang der Gasreserven in den Niederlanden tat sich eine gewaltige Lücke in der Gasversorgung von Haushalten und Industrie auf.“

Trotz aller Versuche zur Diversifizierung mit der TAP und neu gebauten europäischen LNG-Terminals beschreibt Pflüger die Lage damals so: „Deutschland und Europa brauchten weiter große Mengen russischen Gases. Das war die Auffassung der damaligen Großen Koalition unter Merkel und Scholz. Das war ein breiter politischer Konsens.“

„Nord Stream 2 hatte seine eigenen Lobbyisten“

Auch die USA haben stets vor einer Abhängigkeit gewarnt und Energielieferungen mit amerikanischem Fracking-Gas angeboten. Hat Friedbert Pflüger seine politische Verbundenheit mit den USA den Interessen von Nord Stream untergeordnet, hätte er als „Atlantiker“ ein Lobbymandat für eine Gazprom-Tochter nicht ablehnen müssen? Auf die Frage, ob er sich seine Meinung habe abkaufen lassen, reagiert er mit einem kleinen Wutanfall, zwingt sich dann aber zu einer ruhigen Antwort mit langem Vorlauf: „Ich war von Nord Stream 2 ausdrücklich nicht als Lobbyist engagiert, die hatten sehr gute eigene Lobbyisten. Die wären nicht begeistert gewesen, wenn ich mich da eingemischt hätte. Ich war für Nord Stream 2 als Analytiker der internationalen Entwicklungen der Gasmärkte tätig.“ Bei einem Blick in die Archive fällt ein Beitrag im Handelsblatt aus dem Jahr 2014 auf, der ein Jahr vor seinem Beratungsmandat für Nord Stream erschien. Pflüger fordert darin, statt des von den Russen geplanten geopolitischen Riesenprojekts South Stream, mit dem das Gas über die Türkei und den Balkan nach Europa transportiert werden sollte, den zwei bestehenden Strängen Nord Stream 1 zwei weitere Stränge hinzuzufügen.

„Und natürlich habe ich mich nicht kaufen lassen. Ich habe Ende 2015 einen Beratungsvertrag mit Nord Stream 2 unterschrieben, eines von vielen Mandaten im Energiebereich. Ich bin Unternehmer und lange kein Politiker mehr. Ein Unternehmer schlägt ein solches Beratungsmandat nicht aus, wenn die eigene Regierung, das Parlament und alle Wirtschaftsverbände dafür sind und Millionen Haushalte und die Hälfte der deutschen Industrie auf Gas von Gazprom setzen. Und ich war überzeugt, dass die Energiepartnerschaft, die den Kalten Krieg überdauert hatte, verlässlich war. So kam nicht nur preiswertes Gas nach Europa, was nicht nur ökonomisch Sinn machte, sondern auch klimapolitisch richtig war: Nur so konnten wir schneller aus der Kohle aussteigen.“

Erneuerbare Energien, grünes Gas, Energieeffizienz

Pflügers Beratungsfirma Pflüger International erhält 2020 mit dem damaligen Präsidenten des Bundesverbandes Groß- und Außenhandel, Holger Bingmann, einen neuen Mehrheitsgesellschafter und heißt fortan Bingmann-Pflüger International. „Das Russland-Geschäft war bis zum Beginn des Krieges ein wichtiger Teil unseres Umsatzes, allerdings nicht lebenswichtig.“ Trotzdem entschließen sich Holger Bingmann, Sibylle und Friedbert Pflüger nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges und der Kündigung des Nord-Stream-Mandats zu einer Neuorientierung. Im Mai 2022 erwirbt Joachim Lang, zuvor fünf Jahre Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), die Mehrheit der Anteile und wird alleiniger Geschäftsführer. Friedbert Pflüger zieht sich als Founding Partner in die zweite Reihe zurück und hält gemeinsam mit seiner Frau Sibylle, mit der er 2009 die Firma gründete, noch 24,5 Prozent der Anteile. Der neue Mehrheitsgesellschafter schlägt vor, die Firma in Strategic Minds Company (SMC) umzubenennen. Holger Bingmann gründet mit seiner Expertise für die Regionen Golf und Nordafrika eine eigene Beratungsfirma, Thinking Arabian, und bleibt Minderheitsgesellschafter bei SMC.

Fällt Pflüger dieser Rückzug schwer? Nicht mehr Chef zu sein? Friedbert Pflüger: „Ja, denn Sibylle und ich haben das Ganze mit viel Mühe und Fleiß über zwölf Jahre aufgebaut. Aber mit Joachim Lang haben wir die perfekte Persönlichkeit gefunden, um die Firma weiterzuentwickeln. Er ist ein alter Freund, wir vertrauen ihm, er wird die Gesellschaft kompetent in die Zukunft führen.“

Mit dieser Neuordnung geht auch eine Neuausrichtung des Unternehmens einher. Energie ist weiterhin das Kernthema, Wasserstoff, grünes Gas, erneuerbare Energien, Energieeffizienz im Strom- und Wärmemarkt und neue Wege bei der Behandlung nuklearer Abfälle stehen nun im Mittelpunkt. Die SMC unter Joachim Lang gründet gemeinsam mit drei anderen Beratungen die Berlin Advisors Group (BAG), um die Themen Geopolitik, Neuausrichtung und Restrukturierung von Unternehmen, Unternehmens- und Finanzmarktkommunikation sowie Interessenvertretung enger zu verzahnen. Die Berlin Advisors Group hat mehr als 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zwei davon sind Friedbert und Sibylle Pflüger, die bei der Strategic Minds Company weiterhin an Bord sind.

„Ich werde noch lange mit ganzer Kraft arbeiten, mit neuen Schwerpunkten“, sagt Pflüger. Er verweist auf seinen Vorsitz der Internet Economy Foundation, den Aufsichtsratsvorsitz beim Branchenverband Zukunft Gas sowie seine Forschung und Lehre an der Universität Bonn. Außerdem gehört Pflüger dem Kuratorium von AIESEC (seit 1992) und dem Vorstand des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ (seit 1993) an.

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